Der EuGH hat mit Urteil vom 8. November 2022 erneut klar gemacht, dass Thermofenster eine
unzulässige Abschalteinrichtung sind (Az.: C-873/19). „Durch das Urteil dürften die Chancen im
Abgasskandal Schadenersatzersatzansprüche durchzusetzen, weiter gestiegen sein“, sagt
Rechtsanwalt Dr. Ingo Gasser aus Kiel.
Zudem machte der EuGH in seinem aktuellen Urteil auch klar, dass qualifizierte Umwelteinrichtungen
wie die Deutschen Umwelthilfe (DUH) von den Zulassungsbehörden erteilte Typengenehmigungen
anfechten können, wenn sie möglicherweise gegen das Verbot von Abschalteinrichtungen verstoßen.
Damit ist der Weg für Klagen der DUH gegen die vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erteilten EG-
Typengenehmigungen frei. Nachdem der VW-Abgasskandal im Herbst 2015 bekannt geworden war
und bei Millionen Dieselfahrzeugen der Marken VW, Audi, Seat und Skoda mit dem Motor EA 189 die
unzulässige Abschalteinrichtung entfernt und ein Software-Update aufgespielt werden musste, hatte
das KBA die entsprechende Genehmigung für das Software-Update erteilt. Dagegen hatte die DUH
vor dem Verwaltungsgericht Schleswig geklagt, da mit dem Software-Update auch ein Thermofenster
bei der Abgasreinigung installiert wurde und es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung
handele. Das VG war sich jedoch nicht sicher, ob die DUH bei Verwaltungsentscheidungen überhaupt
klageberechtigt ist und legte die Frage dem EuGH vor.
Der EuGH stellte nicht nur klar, dass Umweltvereinigungen wie die DUH Typengenehmigungen
anfechten können, sondern machte auch deutlich, dass Thermofenster eine unzulässige
Abschalteinrichtung sind. Dabei verwies der EuGH auf seine Urteile vom 14. Juli 2022 (Az.: C-128/20,
C-134/20, C-145/20). In den Verfahren hatte der EuGH bereits entschieden, dass Funktionen, die die
Einhaltung der gesetzlichen Emissionsgrenzwerte nur gewährleisten, wenn die Außentemperatur
zwischen 15 und 33 Grad liegt und das Auto unterhalb von 1.000 Metern fährt, unzulässig sind.
Ausnahmen seien nur sehr begrenzt möglich, um den Motor vor unmittelbarer Beschädigung zu
schützen und eine sichere Fahrt zu gewährleisten. Allerdings bleibe ein Thermofenster auch dann
unzulässig, wenn es den überwiegenden Teil des Jahres bei normalen Betriebsbedingungen zum
Einsatz kommt, so der EuGH.
Die DUH hat argumentiert, dass das Thermofenster bei den betroffenen Fahrzeugen dafür sorge,
dass schon bei Temperaturen unter 11 Grad die Abgasreinigung reduziert werde. Bei einer
durchschnittlichen Temperatur in Deutschland von 10,4 Grad (2018) werde die Abgasreinigung somit
den überwiegenden Teil des Jahres zurückgefahren, was einen Anstieg der Stickoxid-Emissionen zur
Folge hat.
Nachdem der EuGH entschieden hat, dass die DUH klageberechtigt ist, liegt der Ball nun wieder beim
VG Schleswig, das über die Klage entscheiden muss. Das wäre wahrscheinlich nur der Anfang, denn
wie die DUH mitteilte, sind noch weitere 119 Klagen anhängig. Für Millionen Dieselfahrzeuge könnte
das den Rückruf oder sogar den Verlust der Zulassung bedeuten.
Davon seien nicht nur Fahrzeuge des VW-Konzerns mit dem Dieselmotor EA 189 betroffen, erläutert
Rechtsanwalt Dr. Gasser. Auch im Nachfolgemotor EA 288 kommt ein Thermofenster zum Einsatz.
Gleiches gilt für Fahrzeuge mit den großvolumigeren 3-Liter-Dieselmotoren des Typs EA 897. Zudem
haben auch andere Hersteller wie Mercedes Thermofenster bei Dieselfahrzeugen eingesetzt.
Betroffene Autokäufer haben nun gute Chancen, Schadenersatzansprüche durchzusetzen. Das gilt
umso mehr, nachdem EuGH-Generalanwalt Athanasios Rantos in seinem Schlussantrag vom 2. Juni
2022 deutlich gemacht hat, dass im Abgasskandal Schadenersatzansprüche schon dann bestehen,
wenn der Autohersteller die unzulässige Abschalteinrichtung nur fahrlässig verwendet hat. „Folgt der
EuGH den Ausführungen des Generalanwalts, wovon auszugehen ist, muss dem Autohersteller kein
Vorsatz mehr nachgewiesen werden. Das erleichtert die Durchsetzung von
Schadenersatzansprüchen“, so Rechtanwalt Dr. Gasser, Kooperationspartner der IG Dieselskandal.
Mehr Informationen: https://www.ingogasser.de/abgasskandal/
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