Rechtsanwalt Dr. Ingo Gasser hat im Abgasskandal Schadenersatz für die Käuferin eines Mercedes Vito durchgesetzt. Das Landgericht Kiel entschied mit Urteil vom 16. November 2021, dass in dem Vito eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet wird und die Daimler AG sich dadurch schadenersatzpflichtig gemacht hat (Az.: 9 O 138/20).
Die Klägerin hatte den Mercedes Vito 116 CDI BlueTec im April 2018 als Gebrauchtwagen zum Preis von rund 23.500 Euro gekauft. Zu dem Zeitpunkt hatte das Fahrzeug, Erstzulassung April 2016, knapp 20.700 Kilometer auf dem Tacho. Der Vito ist mit dem Dieselmotor des Typs OM 651 mit der Abgasnorm Euro 6 ausgerüstet.
Wenige Monate nachdem die Klägerin das Fahrzeug gekauft hatte, ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) einen verpflichtenden Rückruf für das Modell an. Daimler legte zwar Widerspruch gegen den Rückruf ein, der vom KBA allerdings zurückgewiesen wurde. „Damit hat das KBA seine Auffassung noch untermauert, dass es sich bei der beanstandeten Funktion um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt“, sagt Rechtsanwalt Dr. Gasser.
Die Klägerin ließ das folgende Software-Update zwar aufspielen, machte aber auch Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen geltend. Sie führte aus, dass in dem Fahrzeug mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sind, wie die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, der Wechsel der Motorsteuerung nach 26 Kilometern in einen schmutzigen Abgasmodus (BIT 15), die sog. Slipguard-Funktion oder das Thermofenster bei der Abgasreinigung. „Die Funktionen führen dazu, dass der Stickoxid-Ausstoß im Prüfmodus niedriger ist als im Straßenverkehr. Daher handelt es sich um unzulässige Abschalteinrichtungen“, so Rechtsanwalt Dr. Gasser.
Das LG Kiel folgte dieser Argumentation. Es sei vom Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen im Sinne einer unzulässigen „Abgasstrategie“ auszugehen, so das Gericht. Die Klägerin habe hinreichend substantiiert vorgetragen, dass in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz kommen. Dafür spreche auch der Rückruf des KBA, mit dem Daimler aufgetragen wurde die „Vorschriftsmäßigkeit herzustellen, indem alle unzulässigen Abschalteinrichtungen (…) aus dem Emissionskontrollsystem entfernt werden“, führte das LG Kiel aus.
Daimler habe hingegen nur zu weiten Teilen geschwärzte Unterlagen vorgelegt und damit nicht dargelegt, warum die vom KBA beanstandeten Funktionen zulässig sein sollten. So lasse sich der Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht widerlegen, so das LG Kiel. Daimler habe das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht, das KBA damit bewusst getäuscht und sich gegenüber der Klägerin sittenwidrig verhalten, machte das Gericht weiter deutlich. Die Klägerin habe gemäß § 826 BGB Anspruch auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Täuschung.
Der Schaden sei der Klägerin schon mit Abschluss des Kaufvertrags entstanden, da davon ausgegangen werden könne, dass sie das Fahrzeug bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erworben hätte. Der Kaufvertrag sei daher rückabzuwickeln, entschied das LG Kiel. Gegen Rückgabe des Mercedes Vito kann die Klägerin daher die Erstattung des Kaufpreises (23.500 Euro) abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von knapp 5.500 Euro für die gefahrenen rund 64.900 Kilometer verlangen. Damit verbleibt ein Anspruch auf Zahlung von rund 18.000 Euro.
Das KBA hat seit 2018 zahlreiche Mercedes-Modelle wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen zurückgerufen. So wurde erst kürzlich ein weiterer Rückruf für insgesamt rund fast 90.000 Mercedes Viano bzw. Vito der Baujahre 2010 bis 2014 bekannt. Sie werden unter dem Code NC2II651R in die Werkstatt gerufen, damit eine unzulässige Abschalteinrichtung entfernt wird.
„Es bestehen gute Chancen, Schadenersatz gegen Daimler durchzusetzen. Neben dem Landgericht Kiel haben inzwischen zahlreiche andere Gerichte, u.a. die Oberlandesgerichte Köln und Naumburg, Daimler zu Schadenersatz verurteilt“, so Dr. Gasser, Kooperationsanwalt der IG Dieselskandal.
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