Laut EuGH-Generalanwalt Athanasios Rantos reicht es für Schadenersatzansprüche im Abgasskandal
bereits aus, wenn der Autobauer eine illegale Abschalteinrichtung nur fahrlässig verwendet hat. Das
machte er in seinem Schlussantrag vom 2. Juni 2022 deutlich. „In Deutschland gehen die Gerichte
bislang überwiegend davon aus, dass für Schadenersatzansprüche im Abgasskandal eine vorsätzliche
sittenwidrige Schädigung vorliegen muss. Folgt der EuGH den Ausführungen des Generalanwalts,
wovon in der Regel auszugehen ist, sind die Hürden für Schadenersatzansprüche gegen die
Autohersteller erheblich gesunken. Das gilt insbesondere auch bei Schadenersatzansprüchen wegen
der Verwendung eines Thermofensters“, sagt Rechtsanwalt Dr. Ingo Gasser aus Kiel.
In dem Verfahren vor dem EuGH (Az.: C-100/21) ging es um einen Mercedes C 220 CDI. In dem
Fahrzeug wird ein sog. Thermofenster bei der Abgasreinigung eingesetzt. Dadurch erfolgt die
Abgasreinigung nur in einem festgelegten Temperaturbereich zu 100 Prozent. Bei höheren oder
niedrigeren Temperaturen wird die Abgasrückführung reduziert, was zu einem Anstieg der Stickoxid-
Emissionen führt. Der Käufer machte daher Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung einer
unzulässigen Abschalteinrichtung geltend. Das Landgericht Ravensburg schaltete den EuGH ein, um
zu klären, ob sich Mercedes durch die Verwendung des Thermofensters auch schon bei einfacher
Fahrlässigkeit schadenersatzpflichtig gemacht hat.
Diese Frage hat Generalanwalt Rantos eindeutig bejaht. Der Käufer eines Fahrzeugs mit einer
unzulässigen Abschalteinrichtung habe einen Ersatzanspruch gegen den Autohersteller. Die EU-
Mitgliedsstaaten müssten hierzu wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen
verhängen. Wie der Ersatzanspruch zu berechnen ist, liege im Ermessen der Mitgliedsstaaten.
Allerdings müsse er dem entstandenen Schaden angemessen sein, so der Generalanwalt.
Der EuGH hat schon Ende 2020 entschieden, dass Abschalteinrichtungen nur in sehr engem Rahmen
und nur zum unmittelbaren Schutz der Motors vor Beschädigung zulässig sind.
Abschalteinrichtungen, die den Motor vor langfristigen Folgen wie Verschleiß oder Versottung
schützen sollen, zählen nicht zu diesen Ausnahmen. „Demzufolge sind auch Thermofenster
unzulässige Abschalteinrichtungen“, so Rechtsanwalt Dr. Gasser.
Das allein reichte den Gerichten in Deutschland aber oft nicht. Der Autohersteller müsse bei der
Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen auch vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt haben,
damit der Käufer Anspruch auf Schadenersatz hat. „Das könnte sich bald ändern. Wenn der EuGH
dem Schlussantrag des Generalanwalts folgt, reicht bereits Fahrlässigkeit aus, um
Schadenersatzansprüche durchzusetzen. Thermofenster wurden nicht nur von Mercedes, sondern
auch von vielen anderen Autoherstellern verwendet“, sagt Rechtsanwalt Dr. Gasser,
Kooperationspartner der IG Dieselskandal.
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